Mont Blanc

August 2013

Höhe: 4.810 m

Lage: Chamonix, Frankreich (an der Grenze zu Italien)

Der Mont Blanc ist der höchste Berg der Alpen und der Hauptgipfel des gleichnamigen Gebirgsmassivs im Drei-Länder-Eck Frankreich, Italien und Schweiz. Im Norden ist der Berg fast vollständig vergletschert (daher auch der Name "Mont Blanc" / "weißer Berg"). Im Süden, nach Italien hin, erscheint er als markanter Felsklotz mit steilen Wänden. Mont Blanc heißt er aber auch auf dieser Seite. Oder genauer gesagt: "Monte Bianco".

 

Das Mont Blanc Massiv gilt als bergsteigerisch ausgezeichnet erschlossen, und es gibt zahlreiche (wenngleich qualitativ höchst unterschiedliche) Berghütten in der Region. Dennoch kommt es in jedem Jahr zu zahlreichen Unfällen. Eine genaue Statistik gibt es nicht, aber mit bis zu 100 Todesfällen pro Jahr gilt das Bergmassiv in absoluten Zahlen als das wohl gefährlichste der Welt (noch vor jedem Himalaya-Gipfel).

 

Gleichzeitig ist Chamonix ein Mekka für Bergsportler. Mountainbiking, Downhill, Mountain-Running, Bergsteigen, Laufen, Skifahren, Snowboarden, etc. sind nur einige der Sportarten, die hier ausgeübt werden können. 100.000e Menschen bewegen sich jedes Jahr durch die Bergregion, bis zu 150 besteigen pro Tag (!) den Gipfel des Mont Blanc. Jedenfalls bei Schönwetter.

Die Idee

 

Kurz nach der Besteigung des Großglockners war klar, dass das nächste Ziel der Mont Blanc sein würde. 1.000 Meter höher, der höchste Berg der Alpen. Bergsteigerisch, so heißt es, ist der Normalweg zum Gipfel keine große Herausforderung, konditionell jedoch sehr wohl. Also weiter trainieren.

Auch hier war es für mich von Anfang an klar, dass ich den Berg nur in Begleitung mit einem professionellen und vor allem ortskundigen Bergführer besteigen würde. Mit Gerold Santer von follow-me habe ich hier einen mehr als kompetenten Ansprechpartner gefunden.

 

Samstag, 24. August 2013

 

Anreise nach Chamonix. Mehr als 1.000 Kilometer mit dem Auto von Wien. Eines ist jetzt schon klar: Der Weg zu den richtig hohen Bergen wird – von Wien kommend - immer länger. Das Autofahren in der Schweiz ist zudem eine eigene Herausforderung. Sperrlinien sind für Schweizer scheinbar nur eine grobe Richtlinie. Dafür haben sie viel Zeit.

Am Abend Ankunft in Chamonix. Es ist regnerisch und trüb. Der Bossons-Gletscher reicht fast bis ins Tal – der vorerst einzige Hinweis darauf, dass sich in der Wolkenbank "Größeres" verbirgt. Ich überprüfe nochmal das Navigationssystem im Auto.

Chamonix. Ja. Stimmt. Na dann, gute Nacht.

 

Sonntag, 25. August 2013

 

Regen. Tief hängende Wolken. Kein Mont Blanc zu sehen. Gegen Mittag Treffen mit dem Bergführer und seiner Freundin Lydia. Zu dritt werden wir in den nächsten Tagen den höchsten Berg der Alpen in Angriff nehmen.

Zuerst aber geht es auf einen anderen Gipfel: Die Aiguille du Tour.

 

Warum das?

 

Ab einer Höhe von etwa 2.500 Metern Seehöhe ist der nach und nach abnehmende Luftdruck deutlich zu spüren. Der Pulsschlag erhöht sich, ebenso die Atemfrequenz. Bei nicht ausreichender Akklimatisierung (also Anpassung an die Höhe) kommen zudem Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Kreislauf- und Orientierungsprobleme hinzu. Der Grund ist der verminderte Luftdruck. In einer Höhe von 4.800 Metern beträgt er nur noch etwa 55% des Normal-Luftdrucks.

Dem entsprechend bekommt der Körper in dieser Höhe auch nur knapp mehr als die Hälfte des Sauerstoffs pro Atemzug wie auf Meeresniveau. Das ist wenig. Unser Organismus aber ist ein Phänomen und kann daher auch lernen, mit diesen widrigen Umständen zurecht zu kommen. Das geht aber nicht unmittelbar, sondern erst nach und nach. Diesen Vorgang nennt man Akklimatisierung, und rein praktisch bedeutet das, dass man sich in nach und nach größere Höhen begibt und auch dort schläft. Aufsteigen, ein wenig absteigen. Schlafen. Weiter aufsteigen. Schlafen. Und so fort.

Daher ging es am ersten Tag nach Le Tour im Norden des Chamonix-Tals. Eine kurze Fahrt mit der Gondel nach Charamillon. Von der Mittelstation aus geht es dann zu Fuß weiter, der Seitenmoräne des Glacier du Tour entlang, etwa 900 Höhenmeter hoch zur Refuge Albert 1er (2.706 m).

Die Hütte ist schön am Rande des Gletschers gelegen. Im Moment wird sie gerade umgebaut und erweitert. Mein Tipp: Umbau und Erweiterung abwarten! Bis dahin ist der Hüttenaufenthalt vergleichbar mit dem Leben auf einer Baustelle, genauer gesagt mit dem Leben direkt neben dem Dixie-Klo auf der Baustelle, wobei letzteres hier als Hocktoilette ausgeführt ist. Olfaktorische Beeinträchtigungen inklusive.

 

Montag, 26. August 2013

 

Am nächsten Morgen heißt es um 4:30 Uhr aufstehen, um 5:00 Uhr Frühstück. Danach geht es los. In der Dunkelheit mit Stirnlampen bahnen wir uns einen Weg durch das Schuttfeld oberhalb der Hütte und gelangen nach ein paar Minuten zum Rand des Gletschers Glacier du Tour. Die Stoanamandln, die den Weg markieren, sehen wir in der Dunkelheit nicht. Macht nichts, den Gletscher finden wir auch so.

 

Unter sternenklarem Himmel geht es mit Steigeisen in der 3er-Seilschaft quer über den Glacier du Tour in die Höhe. Die Gipfel der umliegenden Berge Aiguille du Tour und der Auguille du Chardonnet erscheinen als fahle Umrisse im Licht des Mondes. Manchmal, so denke ich mir, zahlt es sich doch aus, so bald aufzustehen.

Über eine Scharte geht es dann auf den Glacier du Trient in die Schweiz. Mittlerweile ist die Sonne aufgefangen und wir sehen zum ersten Mal in einiger Entfernung den Gipfel des Mont Blanc. Es gibt ihn also doch! Was folgt ist eine kurze Kletterei, erst über einen Bergschrund, dann auf einen der beiden annährend gleich hohen Gipfel der Aguille du Tour (3.540 m).

 

Ein herrlicher Ausblick, in der Ferne ist sogar die Spitze des Matterhorns zu sehen, wie sie durch die Wolken bricht. Wie die Flosse eines Haifischs.

Nach ein paar Minuten am Gipfel und einigen Fotos geht es zurück nach unten. Der Bergschrund wartet und gähnt, aber er kriegt uns nicht. Die Steigeisen wieder angeschnallt, Rucksack geschultert und wir machen uns auf den Weg ins Tal. Knapp 1.800 Meter Abstieg, bis wir bei Charamillon wieder in die Gondelbahn einstiegen und die letzten Höhenmeter bequem im Sitzen hinter uns bringen.

 

Den Abend verbringen wir – sichtlich müde – in Chamonix. Auch hier eine kleine Warnung: Chamonix ist schön, aber teuer! Ein Bier um 8,50 Euro spricht Bände. Die Übernachtung im Zwei-Stern-Hotel kostet knapp 90 Euro. Mit Frühstück, aber ohne Abendessen. Die Einwohner des Tals lassen sich ihren Berg fürstlich entlohnen, in jeder Hinsicht. Und dabei haben wir ihn erst ein Mal gesehen. Den Berg, meine ich.

Dienstag, 27. August 2013

 

Ausgeschlafen, die Füße verarztet und mit neuem Elan (ja, kein Scherz!) geht es nun endlich los. Klar, uns steckt die Akklimatisationstour in den Knochen, aber es hilft alles nichts. Das Ziel ist klar, und an diesem Morgen sogar ohne Wolken sichtbar. Aiguille du Midi, Mont Blanc du Tacul, Mont Maudit, Dôme de Goûter. Mont Blanc. Ganz hinten, die weiße Kuppe. Schon hoch, irgendwie.

 

Wir fahren erst mal nach Le Houches, einem Ort südlich von Chamonix. Nicht weil das Bier hier billiger ist, sondern weil uns eine Seilbahn nach oben bringt. Vom Col de Voza geht es dann weiter mit der Zahnrahdban zum "Adernest" Nid d'Aigle.

 

Wie? Zahnradbahn? Wollten wir nicht den Berg besteigen?

 

Ja. Puristen gehen natürlich zu Fuß, nötigenfalls auch über die Geleise der Bahn. Auch wenn das verboten ist. Wir aber wollen ja nichts Verbotenes tun und nutzen den Service, zu Fuß zurückzulegende Höhenmeter gibt es schließlich noch genug.

Am Nid d'Aigle, den mit 2.362 m höchst gelegenen Bahnhof Frankreichs, trennen sich dann die Passagiere der Zahnradbahn. Diejenigen in kurzen Hosen und mit Fotoapparat widmen sich dem – zugegebenermaßen – eindrucksvollen Panorama der Aiguille de Bionassay ("Aiguille" heißt übrigens so viel wie "Spitze").

Die anderen, jene mit Pickel und Helm am Rucksack, wenden sich bergwärts und steigen über Geröll und Fels auf zur Refuge de la Tête Rousse. So auch wir. Klar. Wir wollen ja da hoch.

 

Kurz vor der Hütte gilt es noch einen Gletscher zu überqueren. Steigeisen sind hier nicht unbedingt nötig, der Weg ist eben. Allerdings zieht das Wetter nach und nach zu, es wird windig, und auch deutlich kälter.

In der Hütte deponieren wir in Schließfächern die nicht absolut notwendige Ausrüstung.

 

Danach geht es weiter. Jetzt wird die Sache richtig spannend. Etwa zweihundert Meter oberhalb der Hütte befindet sich das berüchtigte "Grand Couloir". Eine Felsrinne, in der es immer wieder Steinschlag gibt. Die Brocken, die hier herunter kommen können gut Fußballgroß sein und haben die Fähigkeit jeden Bergsteiger wie einen Kegel aus der Bahn zu kicken. Nein, nicht lustig. Gut, bei uns ist es ruhig. Es ist kalt, ein Großteil des Couloirs gefroren. Kein Steinschlag. Dennoch gehen wir so schnell als möglich die knapp fünfzig Meter durch die Rinne. Danach Kletterei Stufe II (UIAA). Allerdings ist der Grat zunehmend verschneit, was das Klettern mit Steigeisen notwendig macht. Im unteren und oberen Bereich finden sich Stahlseile, teils an zwei parallel, damit man entgegen kommenden Bergsteigern gut ausweichen kann.

Aber heute kommt niemand. Kein Wunder. Es zieht immer weiter zu. Es schneit. Und die Pickel am Rucksack beginnen zu sirren. Elektrizität. Ein Gewitter liegt in der Luft. Wir klettern ein wenig schneller.

 

Am späten Nachmittag erreichen wir die Kante der alten Goûter-Hütte. Die steht leer, und über einen kurzen Grat geht es zur neuen Hütte, die wie ein überdimensioniertes und leicht abgeplattetes Ei am Abhang klebt.

 

Ein paar Anmerkungen zur Refuge du Goûter (3.835 m): Die Hütte ist tatsächlich toll. Sehr futuristisch. Die Betten sind hervorragend, das Essen wirklich gut. Dafür funktioniert die Wasseraufbereitung nicht. Soll heißen: in den Klos stinkt es. Und zwar ordentlich. Das Wasser ist braun. Nein, ich denke nicht darüber nach warum.

Dennoch kostet der Aufenthalt (inkl. Abendessen und Frühstück) 90 Euro. Stattlich. Wie viel das Bier kostet teste ich nicht aus.

 

Anmerkung zu den Bergsteigern: Am Mont Blanc regiert der Egoismus. Man nimmt sich die Suppe uns isst. Nein, Austeilen kommt nicht in Frage. Man grüßt einander auch nicht. Am Berg. Warum auch? Kenn ich den?

Für den nächsten Tag gibt das – zusätzlich zu dem Gedanken, auf 4800 Meter aufzusteigen – ein mulmiges Gefühl. Von Kameradschaft am Berg keine Spur. Das gilt nicht nur für die Franzosen, sondern auch für leicht beknackte Spanier. Oder nein, ich will nicht verallgemeinern: Für einen beknackten spanischen Bergführer. Çe la vie.

Mittwoch, 28. August 2013

 

Viel geschlafen habe ich in der Nacht nicht. Aber ich bin nicht der Einzige – kaum eine Hüttennacht, in der so wenig geschnarcht ringsum. Knapp vor ein Uhr beginnen die ersten Wecker zu läuten und Rucksäcke werden – zum Teil lautstark – gepackt. Warum man das nicht am Vorabend machen kann ist mir ein Rätsel.

Kurz vor 2:00 Uhr läutet dann auch unser Wecker. Aufstehen. Notdürftig Zähne putzen (mit Trinkwasser aus der Flasche – siehe dysfunktionale Wasserversorgung der Hütte weiter oben).

Ab 2:00 Uhr gibt es Frühstück. Altes Brot mit billiger Marmelade. Dazu dünnen Kaffee. Nun, vielleicht liegt es an der Uhrzeit und daran, dass ich um die Zeit normalerweise eher schlafen gehe als aufstehe. Aber einen bleibenden kulinarischen Eindruck hinterlässt die morgendliche Versorgung nicht. Dafür ist meine Thermoskanne geklaut. Interessiert niemanden, schon gar nicht das Hüttenpersonal.

 

Also raus aus der Hütte. Warme Unterwäsche, Handschuhe. Haube. Helm. Stecken und Pickel, Steigeisen. Stirnlampe.

 

Es ist kalt. Und sternenklar. Das Gewitter vom Vorabend hat sich komplett verzogen. Wir seilen uns an, in 3-er Seilschaft geht es hoch zum Grat. Vor uns in der Dunkelheit die fahlen Umrisse des Dôme du Goûter. Einzelne Glühwürmchen, in 3er-Einheiten zusammen gepackt, schlängeln sich in Serpentinen den Berg nach oben. Sie sind es, die die Spur vorgeben. In der Nacht hat es geschneit. Nicht hin sehen, Konzentration auf die Füße. Schritt für Schritt. Nicht zu schnell, der Weg ist weit. 1000 Höhenmeter liegen vor uns.

 

Nach dem Dôme du Goûter (4.304 m) geht es in einem lang gezogenen Bogen nach unten auf den Col du Dôme (4.236 m), und dann wieder hoch zum Vallot Notbiwak (4.362 m). Netter Name für eine Wellblechhütte voller Müll. Aber immerhin ist es hier drin windgeschützt. Wir trinken etwas, um uns aufzuwärmen. Draußen ist es empfindlich kalt. Minus 9 Grad auf 4.000 Meter, laut Wetterbericht. Wir sind aber schon höher.

 

Warum genau mach ich das eigentlich? Warum tu ich mir das an?

 

Nach dem Vallot Biwak wird der Weg steiler. Steil und Eisig. Dafür geht langsam die Sonne auf. Vor uns ragt – zum ersten Mal sichtbar – der Gipfel des Mont Blanc auf. Aber so nah wie ich gehofft habe ist er noch nicht. Eher im Gegenteil, da ist noch mindestens ein Hügel davor. Oder zwei, so genau sieht man das nicht. Ist ja noch Dämmerung.

Aber das beeindruckendste Bild bietet sich rechts von mir: Tief unten im Tal sieht man den kegelförmigen Schatten des Mont Blanc, der kilometerweit ins Tal hinein reicht. Umrahmt von den roten Strahlen der aufgehenden Sonne.

Okay, vielleicht gibt's doch einen Sinn, hier hoch gekommen zu sein. Ein Bild, das ich wohl mein Leben lang nicht vergessen werde.

 

Es wird immer heller und wir nähern uns jetzt dem Bosses-Grat. Ein schmaler, ausgesetzter Firngrat, über den wir in Richtung Gipfel wandern. Langsam.

Weil, wenn es zu schnell wird geht die Puste aus. Wobei "zu schnell" wohl jeder für sich definieren muss. Auf das Angebot zu überholen geht (auch an Stellen mit genügend Platz) jedenfalls niemand ein. Man plagt sich also kollektiv nach oben. Interessant.

 

Irgendwann, nach der gefühlt einmillionsten Kuppe, die zu überschreiten da ist, dem zehnmillionsten Grat und dem hundertmillionsten Schritt wird der Weg plötzlich breiter – und flacher. Die Sonne ist aufgegangen, Stirnlampe aus, dafür die Sonnenbrille auf der Nase. Es ist kalt.

Aber: Wir sind am Gipfel.

Mittwoch, 28. August 2013, 7:40 Uhr: Mont Blanc, 4.810 m 

 

Ich schicke noch ein SMS ab, dann gibt das iPhone temperaturbedingt den Geist auf. Der Ausblick ist überwältigend. Ich glaube, bis nach Vorarlberg sehen zu können. Mindestens. Ein unglaubliches Bergpanorama. Tiefblauer Himmel.

Ich stehe am höchsten Punkt der Alpen. Alles ringsum ist deutlich niedriger. Ich habe es tatsächlich geschafft.

Ich nehm' kurz die Brille ab, reib' mir die Augen.

Ja, tatsächlich. Kein weiterer Grat vor mir, ich bin ganz oben.

 

Natürlich sind wir nicht alleine. An diesem Tag werden etwa 120 Leute am Gipfel stehen. So wie an jedem anderen Tag auch, an dem das Wetter es zulässt. Aber genau das ist der Knackpunkt: Die Höhe. Das Wetter. Auch die beste Kondition hilft nicht viel, wenn der Wind mit 60, 80 oder 100 Stundenkilometern über den Gipfel fegt. Oder Wolken den Berg einhüllen. Die meisten Besteigungsversuche scheitern am Wetter, einige auch an mangelnder Kondition (Gut, ich weiß, auch daran muss ich noch arbeiten. Aber nicht heute!)

 

Am Gipfel ist es kalt. Also bleiben wir vielleicht zehn Minuten. Ein paar Fotos, dann geht es wieder ab nach unten. Den selben Weg zurück. Erst jetzt, im Tageslicht, zeigt sich, wie schmal der Bosses-Grat tatsächlich ist. Durch die Kälte aber hält der Schnee gut, Ausweichen ist kein Problem. Als sich der Stock verabschieden möchte merke ich aber, wie steil es hier wirklich ist.

Nach gut drei Stunden sind wir zurück bei der Goûter-Hütte. Der Abstieg ist einfacher, ein paar Spalten am Weg, aber keine davon dramatisch. Das Gehen durch den Pulverschnee macht Spaß, ist aber auch anstrengend.

 

Eine kurze Pause auf der Goûter-Hütte. Nein, meine Thermoskanne ist noch immer nicht aufgetaucht. Dafür stellt sich heraus, dass die Hütte – genau wie die "Berggspräche" – von Bergans ausgestattet wird. Spannend. Ich mach' also ein Foto von mir im Bergans-Outfit vor der Hütte. Passt doch.

Leider ist die Pause zu kurz, was mir aber erst später klar wird. Wir steigen – nun bei schönstem Sonnenschein – den Felsgrat in Richtung Refuge de la Tête Rousse ab. Der Weg ist komplett verschneit, was den Abstieg einerseits schwieriger macht (weil man die Griffstellen an den Felsen nicht mehr so gut sieht), andererseits aber auch einfacher (weil die Steigeisen gut halten). Es gibt Gegenverkehr. Wer uns jetzt entgegen kommt, will morgen auf den Gipfel.

Am Weg nach unten beginnt es dann plötzlich zu Donnern. Nein, kein Gewitter. Tiefer. Länger. Lauter. Vom gegenüberliegenden Hand an der Aiguille du Bionassay bricht ein Serac ab und schickt eine Eislawine ins Tal. Fast senkrecht stürzt sie über die Flanke nach unten und trifft auf den Gletscher, eine riesige Eiswolke steigt empor. Ziemlich eindrucksvoll, und zum Glück weit weg. Also ein oder zwei Kilometer. Weit genug, anderer Berg. Wir gehen weiter.

Auch die Querung des Grand Couloirs ist kein Problem. Bisher scheint die Sonne noch nicht in die Rinne, die Felsen bleiben schön brav wo sie sind. Wir queren das Couloir, und mir bleibt zunehmend der Atem weg. Was ist los?

Gegen 14:00 Uhr kommen wir an der Refuge de la Tête Rousse (3.167 m) an.

 

Von Ausruhen und Schlafen keine Spur. Zum einen ist der Schnarchpegel in jenem Raum, in dem wir untergebracht sind, deutlich über der zulässigen Marke, zum anderen bleibt mir im Bett die Luft weg. Wie soll ich da die kommende Nacht verbringen? Eigenartig, ich war heute schon 1.800 Meter höher. Was verdammt noch mal ist los?

 

Ich trinke einen Liter Wasser, einen halben Liter Cola. Kostet hier ein Vermögen. Egal. Es wird ein wenig besser. Gut, ich habe wohl zu wenig getrunken. Aber kurzatmig bin ich noch immer. Ist meine Kondition tatsächlich so schlecht?

 

Nein, ist sie nicht. Ich lerne an diesem Tag wieder etwas über mich: Zwei Uhr Frühstück, danach ein Ovomaltine-Rigel zum Mittagessen, und Abendessen um 19:30 Uhr – das ist zu wenig. Zu wenig für einen derart anstrengenden Tag. Es ist nicht so, dass ich keinen Appetit hätte. Ich bin nur zu geschafft, um Hunger zu erkennen. Und genau der plagt mich mindestens seit Mittag.

 

Mein Tipp: Auch wenn die Leute auf der Goûter-Hütte unfreundlich sein mögen, Thermoskannen verlieren und Toiletten nicht in Gang bringen. Und auch wenn das Mittagessen teuer ist: Gönnt es euch! Der Körper braucht Nahrung. Meiner jedenfalls.

Die Kurzatmigkeit verschwindet jedenfalls während des Abendessens. Schlagartig. Und es geht mir wieder gut.

Interessante Erfahrung.

 

In dieser Nacht schlafe ich hervorragend, auch wenn mein Bettnachbar manchmal etwas näher kommt, als ich mir das wünschen würde. Als ich die Wasserflasche, die er vor meinem Gesicht geparkt hat, entferne, ernte ich böse Blicke. Aber böse schauen kann ich auch, also unentschieden. Um 1:00 Uhr packt er seine Sachen und geht. Er wird von der Tête Rousse aus den Gipfelversuch starten. 800 Höhenmeter mehr als von der Goûter. Ich wünsche ihm hämisch und leise viel Spaß. Ein bisschen egoistisch kann ich schließlich auch sein, und genieße ab sofort den zusätzlichen Platz und die verringerten Schnarchgeräusche.

Donnerstag, 29. August 2013

 

Um 7:00 Uhr gibt es Frühstück. Altes Brot und pickig süße Marmelade. Dazu dünnen Kaffee. Aber das kann mich nicht mehr aus der Ruhe bringen. Selten habe ich so gut geschlafen. Nach dem Frühstück geht es schnellen Schrittes nach unten zur Nid d'Aigle. Um 9:20 Uhr fährt der Zug ab, den wollen wir erwischen. Sonst heißt es fast anderthalb Stunden warten. Der Weg ist vereist, Steigeisen anzulegen aber macht keinen Sinn. Also Vorsicht beim Gehen, zügig aber nicht unüberlegt. Bergsteigen ist auch Konzentrationssache. Immer.

Was soll ich sagen? Wir kriegen den Zug. Um 9:10 Uhr sind wir am Bahnhof. Danach geht es runter ins Tal. Ein kurzer Aufstieg noch zur Gondelbahn, und ein paar Minuten später sind wir beim Auto.

 

Nein, fast. Tatsächlich sitzen wir ein paar Minuten später in Liegestühlen vor einem Café, genießen den Espresso (ja, die Franzosen können auch guten Kaffee machen, wenn sie nur wollen!) und blicken hoch zum Mont Blanc. Es stürmt heute da oben. Wir haben wettermäßig mit unserem Gipfeltag unglaubliches Glück gehabt.

 

Fazit? 

 

Der Mont Blanc ist ein Abenteuer. Definitiv. Der Berg ebenso wie die diversen Hütten. Die Bergsteiger in Frankreich sind Egoisten.

Wer behauptet, der Berg wäre "einfach" sollte sich über das Wort "einfach" mal Gedanken machen. Klar, die Eiger-Nordwand oder das Matterhorn sind klettertechnisch sicher schwieriger. Keine Frage. Aber die Höhe, das Wetter, die langen Strecken – das alles ist eine Herausforderung. Viele brauchen zwei, drei oder mehr Versuche bis sie den Gipfel erreichen. So gesehen hatten wir Glück. Aber das gehört auch dazu. Und wir sind heil zurück im Tal. Und das ist ja wohl das wichtigste: Mach was, und du hast etwas, worüber du erzählen kannst!